Der neue Trend: Nachrichten meiden.
Nachvollziehbar.
Die Flut der Informationen, die auf jeden von uns niederprasselt, hat Ausmaße angenommen, deren Beherrschung und Verarbeitung kein Individuum gewachsen ist. Keine Nachricht kann geistig verdaut werden, eine Reflexion darüber, ob sie überhaupt verwertbar sei und wenn auf welche Art und Weise, ist schier unmöglich.
Als naheliegende Beispiele dafür, dass wir alle maßlos in der Bewertung der jeweiligen Situation überfordert sind, gelten die Kriegshandlungen in der Ukraine und im Gazastreifen.
In beiden Fällen gilt die unverbrüchliche Tatsache: Es herrscht ein beispielloser Propagandakrieg, was so viel bedeutet, dass eine eigene, vermeintlich neutrale Meinung nichts anderes als ein böser Trugschluss ist.
Trugschlüsse sollte man meiden.
Es herrscht sowohl im jeweiligen effektiven Kriegsgebiet als auch in der Welt der Diplomatie eine komplett verfahrene Situation.
Was nun?
In der Mottenkiste des politischen Denkens ist ein Begriff zu finden, dessen Erwähnung in den letzten 2 Jahren mehr als verpönt war, gleich eines Teufelszeugs: FRIEDEN.
Und hier gleich eine Klarstellung:
Ich will und kann nicht angesichts der überaus verworrenen geopolitischen Lage über gerechten oder ungerechten Frieden sinnieren. Es soll lediglich ein sehr persönlicher Hilferuf ausgesprochen werden, der Ruf hinaus in die Welt, diesen wunderbaren Zustand, der FRIEDEN heißt, nicht aus dem Auge zu verlieren!
Dazu einige Anmerkungen, die sich nur auf den Ukrainekonflikt beziehen.
Erster Gedanke: Die Kontrahenten schließen kategorisch aus, mit „den Anderen“ reden zu können. „Die Anderen“ sind Unmenschen.
Man bedenke aber: Es gab in der Geschichte der letzten vielen Jahrhunderte keinen einzigen nennenswerten Krieg, der – trotz der Tatsache von Kapitulationen – nicht letztlich am Verhandlungstisch geendet hätte.
Zweiter Gedanke: Der Krieg wird geführt und die lächerlich wenigen diplomatischen Bemühungen werden getragen von einer Generation, die Kriege so nicht kennt.
Ich bin überzeugt: Würde die Generation, die den Zweiten Weltkrieg erlebt hat, das Sagen haben, würden sie der Diplomatie – also nichts Anderes, als miteinander sprechen – deutlich mehr Bedeutung zumessen.
Und nun zu Russland selbst. Hier ist an einen Regimewechsel -blutig oder unblutig – nicht zu denken. Diese Hoffnung ist illusorisch. Historisch zeichnet sich die russische Gesellschaft dadurch aus, dass sich die Menschen in Zeiten der Krise um den Tyrannen scharen, egal wie brutal und blutrünstig der ist. Aber für sie ist der Tyrann der Garant fürs Überleben.
Unter uns leben einige sehr gute Russland- und Putin-Kenner. Einer dieser Kenner ist der aktuelle CIA-Chef Bill Burns, der Botschafter in Moskau war und sein gesamtes Berufsleben seit 25 Jahren im diplomatischen Dienst verbracht hat. Abgesehen davon, dass er selbstredend amerikanische Interessen vertritt, gab er in einem öffentlichen Interview folgendes Statement:
Das ist ein Krieg, den Putin nicht verlieren darf. Für Russland ist dieser Krieg nicht existentiell, für Putin aber schon. Und er hat den Oberbefehl über Russlands Atomstreitkräfte.
„… nicht verlieren darf.“ Diese Aussage bedarf keines Kommentars, sie spricht für sich.
Auch sollte man nicht vergessen:
Unzählige Kriege in der Geschichte wurden beendet, ohne die ursprünglichen Kriegsziele erreicht zu haben. Viele Konfliktsituationen können nicht von heute auf morgen gelöst werden. Oft müssen Konflikte lange Zeit „schwellen“, ungelöst dahinvegetieren, siehe der Kalte Krieg in Europa, siehe die Deutsche Frage nach dem Zweiten Weltkrieg, siehe heute den ungelösten Konflikt auf der koreanischen Halbinsel und, und, und.
Was wir z. Z. erleben ist eine geistige Atmosphäre des totalen JETZT, die der mittel- und langfristigen Krisenabwehr nicht guttut.
Es sollte nicht nur über Krieg gesprochen werden. Auch, wenn es um einen klar gerechten Krieg geht.
Es sollte nicht nur über Waffenlieferungen gesprochen werden, auch, wenn sie nötig und gerechtfertigt sind.
Man sollte Stimmen nicht ignorieren, die den Krieg „von innen“ kennen, so wie Altbundeskanzler Helmut Schmidt:
„Lieber 100 Stunden umsonst verhandeln, als eine Minute schießen.“
Man sollte in diesem Zusammenhang individuellen und kollektiven Verstand und Vernunft nicht außen vor lassen. Der Verstand verleiht der Vernunft die Fähigkeit, Zusammenhänge durch Schlussfolgerungen zu erschließen, ihre Bedeutung zu erkennen und Regeln und Prinzipien aufzustellen.
Mit der Vernunft organisiert der menschliche Geist alle seine infrage kommenden Bezüge zu der Realität.
In diesem Sinne ist Immanuel Kants Ausspruch heute mehr denn je von brisanter Aktualität:
„DER FRIEDE IST DAS MEISTERSTÜCK DER VERNUNFT.“