Das Jahr 2019 ist Fontanejahr. „Der Stechlin“ ist Theodor Fontanes Meisterwerk. Ein Roman über das untergehende 19. Jahrhundert.
Der alte Stechlin sieht in seinem Schloss am See seiner alten Welt beim Vergehen zu. Heiter, weise, menschenfreundlich.
Wir alle befinden uns in einer ähnlichen Situation:  wir sind seit geraumer Zeit Zeugen des untergehenden Geistes des 20. Jahrhunderts.
Die Welt ist Werden, Zukunft, Möglichkeiten, dafür sind wir da. So die Weisheit der Gräfin Melusine, einer der außergewöhnlichen weiblichen Figuren in Fontanes Kosmos. Sie sagt:
„Ich respektiere das Gegebene. Daneben aber freilich auch das Werdende, denn eben dies Werdende wird über kurz oder lang abermals ein Gegebenes sein. Alles Alte, so weit er Anspruch darauf hat, sollen wir lieben, aber für das Neue sollen wir recht eigentlich leben. Und vor allem sollen wir, wie der Stechlin uns lehrt, den großen Zusammenhang der Dinge nie vergessen. Sich abschließen heißt sich einmauern, und sich einmauern ist Tod.“
Den großen Zusammenhang der Dinge nie vergessen… Welch ein herausforderndes Wagnis!
Ich persönlich versuche mich darin: die großen Zusammenhänge zu verstehen, anzudeuten. Auch eine Art, nicht zu vergessen. Es zeigt sich immer wieder – Fontanes Gedanken aus dem Munde der Gräfin – , dass jede Generation ähnliche bis gleiche Erfahrungen macht, um daraus immer wieder ähnliche, mitunter gleiche Schlüsse zu ziehen.
Somit kann man den Reigen menschlicher Erfahrungen getrost mit dem weisen König Salomo beginnen, der vor ca. drei Jahrtausenden seinen Nachkommen ins Stammbuch geschrieben hat:
„Was geschehen ist, eben das wird hernach sein. Was man getan hat, eben das tut man hernach wieder, und es geschieht nichts Neues unter der Sonne.
Geschieht etwas, von dem man sagen könnte: „Sieh, das ist neu“! Es ist längst vorher auch geschehen in den Zeiten, die vor uns gewesen sind.“
Es ist lächerlich, einige tausend Jahre alte Weisheitslehre als Aberglauben abzutun. Dieser Aberglauben hat die Zeit nur aus einem Grund überdauert: weil er überlebenswichtiges Wissen enthält und keineswegs nur überkommene Vorstellungen.