In jenen Staaten, wo demokratische Verhältnisse relativ jung sind, – historisch also weniger als 10 Generationen auf dem Buckel haben – hat die Demokratie geschichtsphilosophisch gesehen geringe Chancen, sich „ewig“ zu halten.
Demokratische Gepflogenheiten müssen „ins Blut“ übergehen. So wie bei den Engländern. Ich bin überzeugt: das, was wir mit dem Brexit im englischen Parlament seit Monaten erleben, ist zu einem Drittel Polittheater. Es wird eine Show abgezogen. Aber die restlichen zwei Drittel sind unverfälschtes demokratisches Gebaren. Wenn also demokratieaffine Gesinnung nicht ins Blut übergeht, führen dem System innewohnenden geistigen Verwerfungen zu einer unausweichlichen Erstarkung sowohl der extremen linken als auch der extremen rechten Flanke.
Authentische demokratische Verhältnisse werden sich in Osteuropa in absehbarer Zeit nicht herausbilden.
In Westeuropa sind antidemokratische Tendenzen für alle gut sichtbar auf dem Vormarsch. Ab einer bestimmten geschichtlichen Entwicklungsstufe überfordert die Demokratie mehr Menschen, als sie glücklich macht. Das demokratische Miteinander setzt ein hohes Maß an diszipliniertem Verhalten voraus: unter anderem ein sich Zurücknehmen in vielen Belangen zugunsten der Mehrheit. Zugunsten der ANDEREN. Je älter die (noch nicht wirklich ins Blut vorgedrungene) Demokratie wird und je machtvoller äußere unvorhergesehene Ereignisse das Staatsgefüge strapazieren, umso mehr erodiert das systemtragende disziplinierte Verhalten der Einzelnen.
Hier müßte eine konsequent unnachgiebige Verfolgung klarer, unzweideutiger Bildungsideale einsetzen. Das alles ist heute in unserer Heimat – darunter verstehe ich die westeuropäischen Landstriche – eindeutig nicht vorhanden und gar nichts deutet auch nur ansatzweise in eine Richtung der Erneuerung, einer gutgemeinten Rückbesinnung oder überhaupt eines Ernstnehmens des Problems.
Nun eine Bemerkung zu Deutschland: zum einen driftet die Gesellschaft auseinander, die Mitte dünnt aus. Zum anderen erstarken naturgemäß die Ränder. Die Ränder, die offenbar schon gar keine Ränder mehr sind. Die Grünen und die AfD haben die Deutungshoheit der Ränder an sich gezogen. Es deutet sich an, dass künftig eine dieser Parteien in unserem Lande eine gewichtige politische Rolle zugewiesen bekommt.
Liberale Ordnungen sind letztendlich wider die menschliche Natur, weil die Menschen zuallererst Ordnung und Sicherheit suchen. Zu keiner Zeit und in keiner Gesellschaft verschwindet das Verlangen nach einer starken Hand, die diese Sehnsüchte befriedigen könnte. Auch dann nicht, wenn Rechte und Freiheiten beschnitten werden. Schließlich darf in diesem Zusammenhang die Tatsache nicht unerwähnt bleiben, dass sich der Glaube als pure Illusion herausgestellt hat, dass wachsender Wohlstand ein automatisches Bedürfnis nach Demokratie heraufbeschwört.
Vorausschauend und nur von einer streng liberalen Warte aus gesehen ist es relativ Schnuppe, welcher der oben erwähnten Parteien die entscheidende politische Rolle zufallen wird: wir dürfen jetzt schon davon ausgehen, dass damit Zeiten des Abgesangs auf demokratisches Leben und liberales Denken eingeläutet werden.
Totalitäre Momente – gewiß, anfänglich harmlos als Wolf im Schafspelz daher kommend – sind als Prinzip des politischen Machtbegriffs und des politischen Gestaltungswillens beiden Parteien, den Grünen und der AfD, inhärent.