So genau weiß ich nicht mehr, wann alles begonnen hat.
Außer Frage steht aber, dass Berlusconi zu den ersten seiner Zunft gehörte, der dem bis dahin weitestgehend ernsthaft betriebenen Politgeschäft das Seichte des Showbusiness aufoktroierte. Man schmunzelte über den kleinen Italiener, über seine öffentlichen Auftritte. Man verzieh ihm seine zum Fremdschämen tauglichen Eskapaden. Das politische Geschäft, bis dahin von Konventionen durchdrungen, erfuhr durch Berlusconi eine von nicht wenigen fast wohltuend empfundene Auflockerung.
Viele Jahre später geht uns ein Licht auf. Berlusconi verkörperte die Morgenröte eines neuen Politikverständnisses. Die berlusconische Art, Politik zu gestalten, ist heute so gut wie Normalität. Der große Blonde aus Übersee trampelt und twittert seit drei Jahren sämtliche mehr oder weniger sinnvollen Verhaltensregeln ernsthafter Politik nieder. Auch der italienische Möchtegerndiktator Salvini wirbelt mit schauspielerischem Talent ebenfalls viel Staub auf, genau so wie es vor ihm der echte Schauspieler Beppe Grillo getan hat.
Es nimmt überhand: das politische Geschehen als Show zu inszenieren. Offensichtlich war Berlusconi seiner Zeit einige Jahre voraus. Peu á peu kriegen sowohl die ungefestigten als auch die gefestigten Demokratien einen neuen politischen Anstrich. Das Ernsthafte in der Politik ist nicht mehr wirklich gefragt. In einem der größten osteuropäischen Ländern spielt ein Schauspieler mit Bubigesicht in einer erfolgreichen Fernsehserie die Rolle seines Lebens: die des Staatspräsidenten. Und ehe er sich´s versieht, wird er bei der nächstbesten Gelegenheit vom Volke mit überwältigender Mehrheit zum wahrhaftigen Präsidenten des Landes gewählt. Es ist wie im Märchen: überaus wohltuend für die Volksseele.
Nun hat es auch die ehrwürdigste Demokratie der Welt erwischt: einen amüsanteren Premierminister als Big Boris haben die Briten – zumindest die letzten drei Jahrhunderte – gewiß nicht gehabt. Ein rechter Clown soll er sein, der Trump Europas. Ein Kasper also. Seine Partei hat ihn mit bemerkenswerter Mehrheit zum Leader gewählt. Man würde meinen, es stimmt alles hinten und vorne nicht. Oder doch?
Trends, die zuerst in den USA in Erscheinung treten, tauchen regelmäßig mit etwas Verzögerung in Europa auf. So wie vielen US-Amerikanern geht der aalglatte Politikbetrieb der letzten Jahrzehnte auch manchen Europäern so ziemlich auf den Senkel. Europas Bürger suchen etwas, was einen Hauch von Authentizität verspricht. Sie übertragen politische Verantwortung an Personen, die auf Sprachregelungen und politische Korrektheit pfeifen. Im Falle des tolpatschig wirkenden Boris J. auch an eine Person mit erfrischendem Humor und ungekünstelter Selbstironie.
Somit bewegt sich Europa weg vom „demokratischen Heldenepos“, das dem französischen Präsidenten vorschwebt. Alles erinnert ein wenig an einen anderen Briten: Thomas Carlyle, von Haus aus Historiker und Philosoph, der schon vor nahezu 200 Jahren folgendes festhielt:
„Die Demokratie ist die Verzweiflung darüber, dass es keine Helden gibt, die dich regieren; und Befriedigtsein darüber, dass man sich mit ihrem Fehlen abfinden muß.“
Macrons Ruf nach dem demokratischen Heldenepos ist bereits Ausdruck des aufkommenden Gefühls von Gram. Der recht altertümliche Begriff Gram ist zu Unrecht aus unserem Wortschatz verschwunden. Leid und Betrübnis, Last und Trübsal sind allesamt eng verwobene Bausteine im Überbegriff Gram.
Politiker der alten Schule haben allen Grund, sich zu grämen: die Infantilisierung der Politik schreitet in den westlich geprägten Demokratien mit deutlich erkennbaren Schritten voran. Deutschland ist davor auch nicht gefeit.
Als einer, der in Franken lebt, plädiere ich folgerichtig dafür, dass bei künftig anstehenden Wahlen Volker Heißmann als bayerischer Ministerpräsident ernsthaft in Betracht gezogen werden soll.