Der italienische Philosoph Antonio Gramsci, ein ausgewiesener Marxist, hat mal die These aufgestellt: Wer das intellektuelle Leben beherrsche, beherrsche das Klima im Land. Die deutschen 68er haben Gramsci genau gelesen und seine Theorie von der kulturellen Hegemonie umgesetzt. Seit einem halben Jahrhundert stand der Geist in Deutschland links.

Diese Ära neigt sich dem Ende zu. Die Zeichen der Zeit lassen keine andere Schlußfolgerung zu. Gramscis Überzeugung wird merklich von der neuen deutschen Rechte gekapert. Die Hinweise mehren sich. Die Ursachen sind vielfältig. Eine der Ursachen liegt wohl darin, was R. Safranski folgendermaßen in Worte gefasst hat: „Unsere Elite hat sich selbst in ein Stadium der Infantilität ideologisiert. Sie ist nur noch zu geradezu pubertär-unreifer Realitätsverleugnung imstande.“ Es bedarf beträchtlicher argumentativer Potenz, dem zu widersprechen.

Realitätsverleugnung kann nicht lange gut gehen in einer Demokratie. So etwas setzt autoritative politische Strukturen voraus. Zur Realität jeder sozialen Gemeinschaft gehören Regeln, Normen und eine nicht unerhebliche Anzahl von Tabus. Gebote und eine wie auch immer geartete Moral gehören selbstredend dazu. Wenn das alles oder auch nur Teile davon preisgegeben werden, wenn alles erlaubt ist und toleriert wird, dann setzt eine Reaktion ein mit der Zielsetzung, das offensichtlich gestörte Gleichgewicht wieder herzustellen.

Das menschliche Denken ist seit jeher geprägt von dem Spannungsfeld zwischen Vergangenem und Zukünftigen. Jede Generation erlebt diese Spannungsebenen zwischen dem, woher sie kommt, den Traditionen, und dem Künftigen, worauf sie zu lebt und zu steuert. Wenn eine Gesellschaft es vermag, ein gesundes Gleichgewicht beider Tendenzen zu schaffen, ist das  mehr als lobens- und bewundernswert. Das ist in der Geschichte wenigen Gesellschaften gelungen.

Das deutsche gesellschaftliche Klima der letzten Jahrzehnte war einseitig linksseitig. Das wurde dann als die progressive Option im Kampf um die geistige Deutungshoheit verkauft. Progressiv bedeutet, das Weltbild des Jean-J. Rousseau als sakrosankt zu erklären und ihm blindlings zu folgen.

Im Gegensatz dazu gibt die konservative Option immer zu bedenken, dass zivilisatorische Errungenschaften mit relativer Leichtigkeit verloren gehen können. Weil der Mensch das Potential des Bösen hat, ist Fortschritt an sich nicht immer risikolos erstrebenswert. Das entspräche dem skeptischen Menschen- und Gesellschaftsbild von Thomas Hobbes.

Es ist nie gelungen und wird vermutlich niemals gelingen, das eine Weltbild gegenüber dem anderen als das bessere, humanere oder zukunftsweisendere herauszustellen.

Die deutsche linke progressive Option des Menschenbildes war einseitig.

Der deutschen konservativen Option, die sich jetzt anschickt, die Deutungshoheit zu erobern, ist nur zu wünschen, dass sie nicht in die gleiche historische Falle der Einseitigkeit tappt.