In Teilen der SPD läuten leise, aber vernehmbar die Alarmglocken. Einige namhafte Professoren/innen der Geschichtswissenschaften lassen in einem gemeinsam veröffentlichten Brandbrief kein gutes Haar an der Einstellung der ehrwürdigen Partei zum Ukrainekrieg.
In ihrem Schreiben spielen sie u.a. auf die endgültige Kanzlerabsage an, „Taurus“-Marschflugkörper an das kriegsgebeutelte Land zu liefern. Sodann werten sie die Meinung des Fraktionschefs Mützenich bezüglich des „Einfrierens“ der Kriegshandlungen als eine „fatale Äußerung“ und werfen ihm und weiteren Genossen einen „kurzsichtigen Friedensbegriff“ vor.
Der nächste Kritikpunkt der Professorinnen: Das Fehlen einer ehrlichen Aufarbeitung der Fehler, die die SPD in den vergangenen Jahrzehnten in ihrer Russlandpolitik begangen hat.
Zitat: „Vielmehr wird die Tradition der Außenpolitik Egon Bahrs nach wie vor unkritisch und romantisierend als Markenzeichen der SPD hochgehalten“.
Starker Tobak.
Brandts und Bahrs Entspannungspolitik hat in Europa zum Zusammenbruch des von den betroffenen Nationen als sehr schwer zu verdauenden Kommunismus und schließlich zur weitgehenden Befriedung des Kontinents inklusive die Deutsche Einheit geführt. Kann denn diese Entspannungspolitik, definiert zeitlich auf weniger als 2 Jahrzehnte und räumlich beheimatet im mittel- und osteuropäischen Nachkriegseuropa, tatsächlich „falsch“ gewesen sein? Kritikwürdig? Zweifel sind angebracht.
Wir durchleben seltsame Zeiten. Bellizistische Zeiten.
Es herrscht ein Kriegs-Zeitgeist.
Dieser Bellizismus weiter Teile insbesondere der westeuropäischen Gesellschaften ist – gelinde ausgedrückt – unerträglich.
Kaum jemand will mahnende Worte hören, jene z.B. von B. Brecht: „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat“.
Die mahnenden Worte von Papst Franziskus, den Frieden als höchstes zwischenmenschliches Gut nicht aus den Augen zu verlieren, wurden niedergebrüllt. Zeitgenossen, die Fragen stellen, werden als defätistisch abgestempelt.
Fragen wie diese:
Was wird wohl passieren, sollte es den Ukrainern gelingen, die russischen Truppen tatsächlich zurückzudrängen? Zurück auf russisches Territorium. Es sieht alles andere denn danach aus, aber rein theoretisch darf diese Frage vorbehaltlos gestellt werden. Verschwinden dann die russischen Truppen mit hängenden Köpfen in ihren Kasernen? Das wäre wohl Putins Ende. Wer aber würde ihn beerben? Doch nicht Personen, die mit Friedenstauben in der Hand der Bevölkerung
erklären würden, dass man sich nun geschlagen geben muss, weil der Gegner halt eben stärker war. Das ist nicht vorstellbar. Der in weiten Teilen aufgeputschten Bevölkerung könnte man eine Niederlage gar nicht zumuten.
Russland war und ist eine (geopolitische) Heimsuchung. Eine durch und durch autokratische. Seit drei Jahrhunderten versucht Russland seine Staatsziele und Einflusszonen zu sichern ohne jegliche Rücksichtnahme weder der eigenen Bevölkerung gegenüber noch dem nahezu immer als feindlich empfundenen Ausland. Das, was russische Machthaber seit Peter dem Großen tun, hat mit internationalen Rechtsnormen nicht das Geringste zu tun, sie huldigen einer uneingeschränkten Machtpolitik und man konnte und kann sie davon nicht abhalten. Sie wähnen sich im Recht.
Das taten sie aber alle: Sämtliche großen Imperien der Geschichte haben sich weder um Recht noch um Moral geschert.
Heute ist es – siehe die USA, China und Russland – nicht anders.
Die blutige Konfrontation auf den ukrainischen Schlachtfeldern kann keinen Sieger hervorbringen. Je länger dieser Krieg dauert, umso schwieriger wird es für die Beteiligten, gesichtswahrend dem Morden ein Ende zu setzen.
Im Moment gibt es niemanden auf Erden, der einen Ausweg aus der vertrackten Situation skizzieren könnte. Fakt aber ist, dass die bisher angewandten Strategien in eine Sackgasse geführt haben. Folgerichtig sind neue Überlegungen und Wege dringend notwendig.
Die Gedanken der Befürworter des „Sieges um jeden Preis“ kann man nachvollziehen. Viele denken und handeln nach der Maxime: nie wieder „München 1938“. Ja, da ist was dran. Und trotzdem müssen sie sich den Vorwurf gefallen lassen:
Sie kennen die unmenschlich-grausamen Kriegsbedingungen nicht und propagieren ihre Überzeugungen aus der sicheren Entfernung vom grauenhaften Geschehen. Das darf unverblümt als Balkon-Bellizismus genannt werden.
Chris Hedges, ein US-Journalist, der jahrzehntelang aus Kriegsgebieten berichtete, hat ein Buch geschrieben:
THE GREATEST EVIL IS WAR.
Im Schlusskapitel schreibt er: „Ich trage den Tod in mir. Den Geruch von verwesten und aufgedunsenen Leichen. Die Schreie der Verwundeten. Die Schreie der Kinder. Den Klang der Schüsse. Die ohrenbetäubenden Explosionen. Die Angst. Den Gestank von Kordit. Die Demütigung, die entsteht, wenn man sich dem Terror ergibt und um sein Leben bettelt. Der Verlust von Kameraden und Freunden. Und dann die Nachwirkungen. Die lange Entfremdung. Die Gefühllosigkeit. Die Albträume. Den Schlafmangel. Die Unfähigkeit, sich mit allen Lebewesen zu verbinden, selbst mit denen, die wir am meisten lieben. Das Bedauern. Die Absurdität. Die Verschwendung. Die Sinnlosigkeit. Nur die Gebrochenen und Verstümmelten kennen den Krieg. Wir bitten um Vergebung. Wir suchen Erlösung. Wir tragen dieses schreckliche Kreuz des Todes auf dem Rücken, denn das Wesen des Krieges ist der Tod, und die Last des Krieges gräbt sich in unsere Schultern ein und frisst unsere Seelen auf.(…) Er verlässt uns nie“.
Es sind viele Beteiligte, die ein Interesse an diesem Krieg haben.
Der Konflikt ist ein Schlagabtausch konkurrierender, global agierender Mächte. In ihrem Weltbild gibt es keine Skrupel und kein Mitleid.
Solange sich ihre Interessenlage nicht ändert, wird der Tod weder die Ukrainer noch die Russen auf den blutgetränkten Feldern der Ukraine verschonen.