WER SICH AN DAS ABSURDE GEWÖHNT HAT …

Der Beruf des Journalisten fußt unter anderem auf der Suche, der Aufnahme, der Sichtung und der Wiedergabe von Informationen. Manche davon interessant und relevant, andere nicht. Je nach Betrachtungsweise und Perspektive.
Von meiner persönlichen Warte aus gesehen sind Informationen, die einen Banater Sportjournalisten betreffen, gut geeignet, einen erhellend-reizvollen Beitrag zu der seit einiger Zeit mit Vehemenz in der deutschen Öffentlichkeit ausgetragenen Diskussionen bezüglich des Wahrheitsgehalts medialer Veröffentlichungen zu leisten. Einen Beitrag zu dem von vielen Bürgerinnen und Bürger unseres Landes als Gleichschaltung der wichtigsten Medienanstalten wahrgenommenen Phänomen.
Die Rede ist von Helmut Heimann, Banater Schwabe, Jahrgang 1952. Ihm ist es gelungen, seine sportjournalistische Tätigkeit, die er im kommunistischen Rumänien begonnen und über Jahre erfolgreich ausgeübt hat, im kapitalistischen Deutschland als Sportjournalist bei BILD ab Frühjahr 1991 weiterzuführen. Und das ebenfalls mit lobenswertem Erfolg.
Heimanns Stil als Sportreporter ist unverwechselbar. Die relevanten oder eben weniger bedeutsamen Sportinformationen werden eingebettet in ein warmes sprachliches Gerüst von Kuriositäten, von Erkenntnissen und Einsichten aus vielen anderen Lebensbereichen. Philosophische Reflexionen und Zitate bedeutender Denker und Gestalten der Weltgeschichte durften und dürfen in seinen Beiträgen niemals fehlen.
Diese feine Art zu Denken und zu Schreiben widersprach selbstredend dem kommunistischen Geist, und es war gewiss kein Zufall, dass die kommunistischen Zensoren Heimann ganz oben in der Liste der Störenfriede und Unangepassten führten. Heimanns journalistische Tätigkeit überlebte, weil er des Öfteren geschickt Sand in die Argusaugen der Zensoren streute und weil er niemals den Bogen überspannt hat.
Mehr als belangvoll sind aber für uns seine Erkenntnisse, die er im kapitalistischen Journalismus gesammelt hat. Dabei nimmt er kein Blatt vor den Mund. So erwähnt er süffisant-ironisch die erst vor ca. 13 Jahren aufgetretene Unart, Interviews vor dem Erscheinen autorisieren zu lassen. Jedes Interview, egal ob aus der Politik, Sport, Kultur, Wissenschaft oder Wirtschaft muss vor dem Erscheinen der jeweiligen Presseabteilung vorgelegt werden, die es zurechtstutzt. Autorisierung heißt dieses Vorgehen, was im Grunde genommen nichts anderes ist als Zensur. Dabei werden brisante Aussagen so entschärft, dass das Interview für den Leser irrelevant und uninteressant wird.
Heimann zitiert Oskar Beck, Sportkolumnist von „Stuttgarter Zeitung“ und „Die Welt“:
„Was von der Presseabteilung als Interview genehmigt schließlich zurückkommt, ist schlimmstenfalls geändert, glattgeschliffen und hochgehübscht. Ein brisantes Interview geht, salopp auf Deutsch gesagt, heutzutage den Weg aller schmutzigen Wäsche – es wird geschleudert, bis es blütenweiß aus der Waschmaschine wieder rauskommt.“ So wurde ein Interview mit dem von uns allen gut bekannten Lukas Podolski gleich an 38(!) Stellen verändert. Beck vergleicht die Autorisierer mit Frisören: „Sie frisieren die Interviews mit der Heckenschere.“
Eine ähnlich treffende Aussage auch vom ehemaligen „kicker“-Chef Wolfgang Uhrig: „Es gilt das gestrichene Wort.“ Und Heimann stellt unumwunden die Gretchenfrage: „Wo bitte soll also der Unterschied zwischen Zensur im Kommunismus und Autorisierung im Kapitalismus liegen?“ Dieser Frage folgt -in ganz typischer Heimannscher Manier – folgende Bemerkung: „Wer sich an das Absurde gewöhnt hat, findet sich in unserer Zeit gut zurecht“, so das Urteil des französisch-rumänischen Literaten E. Ionesco.
Natürlich herrscht in Deutschland Meinungsfreiheit. Jeder darf seine Meinung äußern – muss aber die Konsequenzen in Kauf nehmen. Typisches Beispiel dafür: Auf dem Höhepunkt seiner Karriere erdreiste sich Philipp Lahm, ein Interview zur Transferpolitik seines bayerischen Klubs zu geben, um dann ohne das Wissen der zuständigen Pressestelle der Veröffentlichung zuzustimmen. Unzensiert, pardon unautorisiert, ist das Interview in der „Süddeutschen Zeitung“ erschienen. Die Folge: eine Strafe von 50000 Euro. Lahms vorbildliches Verhalten war und ist die berühmte Ausnahme von der Regel. Auf der Strecke bleibt das freie und souveräne Wort, das von Moralaposteln, Gesinnungsakrobaten und Tugendwächtern unterdrückt wird.
Es gibt keinen Weg an der Einsicht vorbei: Egal, ob im Kommunismus oder Kapitalismus – die allermeisten Journalisten wissen haargenau, was sie schreiben dürfen und was nicht.
Was Rohtraut Wittstock beim „Neuen Weg“ (Der „Neue Weg“ war das „Neues Deutschland“ der deutschen Minderheit im kommunistischen Rumänien) als Eigenzensur bezeichnete, hieß bei Jörg Dahlmann Schere im Kopf.
Also dasselbe. Selbstzensur als Stacheldraht von innen.
Dahlmann ist als Sportkommentator unvergesslich, das Duo Netzer-Dahlmann: Unerreichbar. „Ich habe die Zensurschere im Kopf“, gestand einstens Dahlmann. „Aber – zugegeben – ich lasse sie oft in der Schublade.“ Was ihm zum Verhängnis wurde, als er während einer Übertragung von einem japanischen Bundesligaspieler aus dem „Land der Sushis“ gesprochen hat. Sein damaliger Arbeitgeber (Sky) wertete diese Formulierung als Rassismus und feuerte Dahlmann fristlos. Der sympathische und überaus populäre Reporter verstand die Welt nicht mehr: „Land der Sushis als Pseudonym für Japan ist ähnlich wie Land der Fjorde für Norwegen. Einige Leute haben daraus einen rassistischen Hintergrund gebastelt. Dass sich manch einer dem Diktat dieser Hasser beugt, macht mich sehr traurig. Es ist ein Sieg „sozialer Hater“ über den freien Journalismus.“ Vierzig Jahre Kommentatorentätigkeit waren mit einem Schlag zu Ende.
Sprachverbote und Zensur vergiften die geistige Atmosphäre. Die politische Korrektheit führt mitnichten zu mehr Offenheit und Toleranz, sondern zu Duckmäusertum, Feigheit und Anpassertum als Vorboten einer ideologiegeschwängerten historischen Epoche.
Wenn eine Meinung den Anspruch erhebt, allein wahr zu sein: Das ist Ideologie.
Ideologie lässt keine von ihr abweichende Meinung zu. Ideologien wollen Menschen bevormunden und sie in ihrem Geist umerziehen. Sie gaukeln stets vor, im Namen hoher und unumstößlich hehrer Ziele zu handeln. Sämtliche ideologisch transportierten Tendenzen in der Geschichte verfolgten lediglich zwei Ziele: Die Macht über die Menschen und die jeweilige Gesellschaft zu erringen und das freie Denken und das freie Wort zu unterdrücken.
Zum essenziellen Wesenskern jedwelcher Ideologie zählen: DIE VERBOTE.
Principiis obsta!
Unterschätzen wir nicht diese gut bekannte Mahnung eines Großen der antiken Welt!
„Wehret den Anfängen! Zu spät wird die Medizin bereitet, wenn die Übel durch langes Zögern erstarkt sind.“ (Ovid)