Unser Staat – so der Eindruck der letzten Monate – beginnt sich öffentlich wirksam zur Wehr zu setzen. Nicht, dass er das bislang nicht getan hätte. Jetzt aber werden die staatsgefährdenden Fische im Piranhabecken unserer Gegenwart stärker und damit herausfordernder und dreister.
So hat unser Staat viele Jahre dem Treiben arabischstämmiger Clans in den Großstädten nahezu tatenlos zugeschaut. Erst vor ein paar Monaten setzten die Sicherheitskräfte die ersten öffentlich wahrnehmbaren Duftmarken.
Seit einiger Zeit ist die Staatsmacht wieder voller Tatendrang und das angeblich im größten Steuerskandal der Bundesrepublik. Mittendrin in diesem Skandal ist nicht etwa die Mafia oder eine andere ausgewiesene kriminelle Organisation, sondern eine mächtige, mutmaßlich die einflussreichste Anwaltskanzlei in Europa: Freshfields Bruckhaus Deringer. Eher kein Begriff für normal Sterbliche.
Naiv ist derjenige, der noch glaubt, dass sich solche Kanzleien mit nachweislich ehrenhafter Vergangenheit der Gesetzestreue oder dem entschlossenen Durchsetzen geltenden Gesetzes verschrieben haben.
Kanzleien solchen Kalibers wie Freshfields sind tatsächlich noch immer im juristisch beratenden Geschäft tätig. Die globalen Tendenzen, die alle Bereiche unseres Planeten fest im Griff haben und der Übertritt der Weltgemeinschaft in das Informationszeitalter (bald wird daraus die Informationsapokalypse) führen dazu, dass alles wesentlich komplizierter wird und sich alles schneller dreht, was zur Folge hat, dass Risiken aller Art überall, andauernd und bedrohlich in die Höhe schnellen. In dem gegenwärtigen globalen wirtschaftlichen und politischen Machtgefüge lässt es sich nur mit Rechtsspezialisten überleben. Die Betonung liegt auf Spezialisten. In unserer heutigen Welt nennt man sie auch gerne: Experten. Das gilt gleichermaßen für Unternehmen wie für Regierungen oder Verantwortlichen jedwelchen Couleurs. Wer nicht aufpasst, wird ausmanövriert. Die Sphäre, in denen die Spezialisten mit ihrer Juristerei vorgedrungen sind, ist schwindelerregend und stattet sie mit einer wahnwitzigen Machtfülle aus. Wohin führt aber grenzenlose Machtfülle?
Ja, genau.
Es gibt in der Welt wenige ähnlich mächtige Kanzleien wie Freshfields. Unter den globalen Top Ten sind bis auf Freshfields alle Amerikaner. Sie sind es, die hinter den Kulissen die Zahnräder der Weltwirtschaft bewegen. Was die Skrupel- und Ruchlosigkeit ihres Handelns anbelangt befinden sie sich auf gleicher Ebene wie die Investmentbanken. Es ist eine arrogante Elite, die, richtig besoffen von ihrer vermeintlichen Überlegenheit, von sich selbst mehr als überzeugt ist und über allen Dingen zu stehen glaubt.
Wohlgemerkt: Es ist die Demokratie, die sich eine solche Elite herangezüchtet hat, denen die gesellschaftlichen Folgen ihres Tuns schnuppe sind und die nur ihrem Narzissmus und dem Mammon frönen.
Zurück zu Freshfields. Über Jahre wirkte die Kanzlei an einem System haarsträubender Steuerbetrügereien mit. Sie wird beschuldigt, den deutschen Staat gezielt ausgenommen zu haben, indem sie Unternehmen und Banken „aufgeklärt“ hat, wie sie das Finanzministerium austricksen und den Steuerzahler prellen können. Im Mittelpunkt der Tricksereien sind die Cum-Ex-Geschäfte. Soweit bekannt beriet Freshfields etwa zwei Dutzend Banken und Investoren bei diesen mehr als fragwürdigen Aktiengeschäften.
Soweit so gut.
Unsere Welt leidet zurzeit an vielem. Allmählich kristallisiert sich ein neues Leiden heraus: Das bedrohlich hohe Ausmaß an Verrechtlichung hervorgerufen durch Professionalisierung, durch maßlose Kommerzialisierung und durch das aufsteigende Gefühl in sämtlichen Lebensbereichen ohne angemessenen Rechtsbeistand nicht bestehen zu können. An allen Ecken und Enden wird man gewahr, dass es an dem „Ungeschriebenen“, an dem gesetzlich gerade nicht Verschreibbaren zu fehlen beginnt: an der inneren Einstellung und einer sittlichen Grundhaltung.
Es fehlt die Selbstverpflichtung des Individuums auf verbindende Werte und unvernichtbare Maßstäbe.
Es ist aber auch tröstlich, sich zu vergegenwärtigen: prinzipiell sind diese Erscheinungen nicht wirklich etwas Neues in der Geschichte des Menschengeschlechts. König Salomo würde dazu nur lächelnd abwinken und seine wohlbekannten Worte vor sich hin murmeln: „Alles ist eitel und Haschen nach Wind.“
Passend dazu auch die Einsicht von A. Pope:
Zwei Dinge sind gleicherweise für den Verstand unerklärlich und kein Gegenstand, über den man nachdenken soll: die Weisheit Gottes und der Wahnwitz der Menschen.“