„Der Untergang der westlichen Mittelschicht ist das große schmutzige Geheimnis der Globalisierung.“
Der Satz stammt aus der Feder eines Franzosen: Christoph Guilluy.
Auffallend: es gibt – soweit mir bekannt –  keine deutschen Übersetzungen seiner Bücher. Hm…Und seine Thesen sind provokant. Er bezieht sich in seinen Werken auf die jetzigen Verhältnisse in der französischen Gesellschaft. Das Meiste ist mit unbedeutenden Abstrichen auf ganz Westeuropa übertragbar.
Die westeuropäischen Gesellschaften sind unter den Auswirkungen der Globalisierung im Zerfall begriffen, weil die kosmopolitisch und postnational denkende Elite nur noch herablassend-spöttisch auf die Mittelschicht herabschaut. Insbesondere auf die untere Mittelschicht. Diese soziale Schicht hält sich mitunter krampfhaft an den Werten des Nationalstaats, sie ist eher immigrationskritisch, dabei wird von der Oberschicht der Versuch unternommen, durch die entfernt an Orwell erinnernde politische Korrektheit sie sprachlos, ja mundtot zu machen.
Ohne der Mittelschicht fehlt der Klebstoff, der die Gesellschaft zusammenhält. Den augenscheinlichen Hinweis auf diesen Zerfall bietet uns der Niedergang des traditionellen Parteiensystems in nahezu sämtlichen Ländern Westeuropas. In Frankreich hat ein Funke Massen ohne aber vor allem mit gelben Westen in Wallung gebracht. Eine disparate Masse hat die Straßen besetzt, eine Masse ohne Klassenbewußtsein, ohne Organisation, auch ohne wirkliche Führung. Der Demos. Dieser Demos wird von den Eliten sträflich unterschätzt.
Auch in Deutschland. Die Straße war und ist nicht der Ort des deutschen politischen Aufbegehrens. Aber viele in unserem Lande spüren intuitiv, dass sich die Gesellschaft spaltet, und wenn der Gegensatz zwischen Populismus und Elitismus unüberbrückbar wird, dann droht früher oder später die Auflösung der Gesellschaft. In unserem Lande gibt es, allen voran in den Großstädten, eine Oberschicht, die die kulturelle Hegemonie ausübt und über die soziale, politische und wirtschaftliche Deutungshoheit verfügt. Diese Elite ist seit Jahren im Begriff, die anderen da unten, den unteren Teil der alten Mittelschicht abzustempeln: die Uninformierten, die Bornierten, die Unaufgeklärten. Die Populisten halt. Die kosmopolitischen Eliten beleidigen unentwegt die eigene Bevölkerung. Die werden als „Pack“ abgestempelt, im Französischen „les deplorables“. Die Beklagenswerten. Die Erbärmlichen. Diese Elite „bunkert“ sich kulturell ein, sie versucht sich den Zwängen, die ihr der Nationalstaat noch auferlegt – auch im Sinne gesamtgesellschaftlicher Verantwortung – zu entziehen, indem sie sich mit transnationalem Gedankengut identifiziert. Und diese Oberschicht ist folgerichtig im Begriff, einen historisch fundamentalen Fehler zu begehen: diese „Abgehängten“, insbesondere auch quantitativ, zu unterschätzen. Die noch intakte zusammen mit der bereits abgehängten unteren Mittelschicht bilden gewiß die Mehrheit noch, und es wird auf Dauer nicht funktionieren, was definitionsgemäß nicht funktionieren kann: eine Demokratie ohne Volk.
Woran erkennt man nun die ersten Anzeichen einer gefährlichen gesellschaftlichen Spaltung? Die sich selbst zur führenden Elite Ernannten „verschanzen“ sich in Städten, wo der Quadratmeter Wohnfläche von gefühlt unter 10 Prozent der Bevölkerung bezahlt werden kann. Zu Recht macht Guilluy darauf aufmerksam, dass die von diesen Eliten propagierten „offene Gesellschaften“ die größten Fake News der letzten zwei Jahrzehnte sind. Offene Gesellschaften für die Oberschicht, ja! Die Angehörigen dieser Schicht sind bekanntlich überall auf der Welt zu Hause.
Und der Rest?
Für die gibt es Angela Merkels „Wir schaffen das“. Es ist fast schon müßig, darauf hinzuweisen, dass die Neuankömmlinge alles andere denn in die Oberschicht wandern. Für ihre Integration sind die Abgehängten, die Bornierten, die Erbärmlichen entscheidend.
Und genau diese entscheidenden sozialen Schichten werden von den Eliten westlicher Demokratien vergessen – so Guilluys Meinung, der darin einen Verrat am eigenen Volk sieht.
Starker Tobak. Es sind eher politisch rechts verortete Individuen, die sich solcher Argumentation bedienen.
Nur: Guilluy kommt von ziemlich weit links, marxistisches Denken ist ihm alles andere denn wesensfremd.
Sahra Wagenknecht und ihre Bewegung „Aufstehen“ lassen grüßen.