Für viele ist er ein rotes Tuch. Einer der umstrittensten, wenn nicht der umstrittenste Politiker Europas unserer Tage.
Der Ungar. V.O.
Man kann getrost behaupten: es wird vermutlich kein europäischer Politiker so heftig beschimpft und angefeindet wie er. Alles, was lupenreine Demokraten am verwerflichsten finden, ist auf V.O. bezogen gerade gut genug. Für sie ist das, wofür der Ungar steht und woran er glaubt, anzusiedeln irgendwo auf halber Strecke zwischen dem Minsker Lukaschenko und dem netten jungen Mann aus Pjöngjang. Ein Autokrat. Dazu noch ein Rassist. Und Nationalist. Pfui.
Fakt ist: keiner bewegt die politischen Gemüter in Europa stärker als er. Ich habe beileibe nicht die Absicht, den Versuch zu starten, sein Denken, seine Überzeugungen oder seine Beweggründe zu durchleuchten. In den Augen westeuropäischer lupenreiner Demokraten führt er sich auf wie ein Rotzlöffel, wie ein Undankbarer, der Tabus bricht und hochgestochenen aber letztlich hohlen Worten eher keinen Glauben schenkt. Schließlich ist er im Ostblock aufgewachsen und kann ein Lied über Bevormundung singen. Die jahrzehntelange sowjetische. Es ist nicht schwer nachzuvollziehen, dass er jetzt keinen Bock hat auf jene aus Brüssel oder Berlin, da er schlicht und ergreifend eine andere Überzeugung hegt, wie Europas Zukunft aussehen sollte. Ja, es wird dem Undankbaren vorgeworfen, das Geld aus Brüssel diskret aber schuftig und schnöde einzustecken. Ist der EU-Zaster aber wirklich nur altruistisch und voll von edler Uneigennützigkeit?
Fakt ist: V.O. und Angela Merkel sind die unvereinbaren Pole einer für die Zukunft unseres Kontinents mehr als bedeutsamen Grundsatzdebatte. Es geht um „mehr Europa“ oder „mehr Region, mehr Nationalstaat“. Es geht um eine positive Bewertung dessen, „was die Flüchtlinge für Europa bedeuten“ oder „eine ungeordnete und nicht begrenzte Migration zerstört unsere Kultur“. Es geht um Grundsätzliches. Es geht um die Zukunft.
Gibt es heute jemanden unter den jetzt in Europa Lebenden, der es wagen würde, eine Wette einzugehen auf den Ausgang dieser Debatte?
Was, wenn unsere Kinder und Enkel in einer nicht allzu ferner Zeit uns etwas Ähnliches vorwerfen werden, das ein bekannter polnischer Journalist – Andrzej Talaga – folgendermaßen in Worte gefasst hat:
„Keine humanitären Gründe rechtfertigen es, Minen unter die Zukunft unserer Kinder zu legen.“
Ist es wirklich so abwegig und abartig, derart zu denken? Kann heute jemand dafür bürgen, dass unsere Nachkommen uns Derartiges mit an sehr hoher Wahrscheinlichkeit grenzender Gewissheit nicht vorwerfen werden? Solange keiner der Lupenreinen den Mumm hat, diese Wette einzugehen, würde ich in meiner ganzen Bescheidenheit jedem raten, hinsichtlich der Denke osteuropäischer Länder sich nicht allzu großspurig und selbstsicher aus dem Fenster zu lehnen.
Außerdem gebe ich zu bedenken, dass in dieser Grundsatzdebatte Osteuropa bereits einige Kilometer hinter Passau beginnt.
Wenn nicht – in einem gewissen Maße – schon westlich davon….