Seit Preußen im 18. Jahrhundert zu den ernst zu nehmenden europäischen Mächten aufgestoßen ist, weiß Resteuropa von den deutschen Tugenden ein Lied zu singen. Sprichwörtlich bekannt auf dem gesamten alten Kontinent waren und sind der deutsche Ordnungssinn, die Pünktlichkeit, die Verlässlichkeit im Kleinen wie im Großen, der Fleiß, das unerschütterliche Staatsvertrauen, das nicht selten zu blindem Obrigkeitsglauben hinaus zu wachsen vermochte. Es waren Tugenden, die Deutschland groß gemacht haben. Und übermütig. Zwei Mal in den letzten hundert Jahren leider irre übermütig mit den bekannten tragischen Folgen. Der Sinn der Deutschen für Ordnung, Sauberkeit, Fleiß, Geradlinigkeit und Disziplin ist ihnen zum Verhängnis geworden. Sie dachten, sie sind den anderen Völker durch diese Eigenschaften überlegen und dadurch berufen, die Welt in ihrem Geiste zu verändern. Das berüchtigt-berühmte und alles andere als demütige „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ endete zwei Mal in einer historischen Katastrophe.
Heute kann niemand behaupten, dass die Deutschen daraus nicht die entsprechenden Konsequenzen gezogen haben. Die der Stunde Null der deutschen Geschichte 1945 folgenden zwei Generationen setzten die gehörige historische Lektion, die Deutschland erteilt wurde, konsequent in die Tat um. Die Fundamente des alten preußischen Geistes – das Wesen der Deutschen noch immer merklich bestimmend – werden langsam aber konsequent eingerissen. Deutschland muß „europäischer“ werden, es muß sich dem Laisser-faire des ost- und südeuropäischen Geistes angleichen. Die deutsche Vergangenheit der letzten 70 Jahre ist geprägt von dem fast schon besessenen politischen Willen, sich in den europäischen wirtschaftlichen und geistigen Körper so weit es nur geht zum einen unauffällig zum anderen wurzeltief und unwiderruflich zu integrieren. Dass dieser Prozess nur dann erfolgreich zu Ende geführt werden kann, wenn die von sämtlichen Europäern äußerst zwiespältig beurteilten deutschen Tugenden über Bord geworfen werden, ist eine Tatsache, die keiner näheren Erläuterung bedarf.
Seit vielen Jahren kann man in unserer Heimat auf Schritt und Tritt den Folgen des politischen Willens der letzten beiden deutschen Generationen begegnen. Europa muß zusammenwachsen. Wirtschaftlich sowieso aber wichtiger ist das Zusammenwachsen im Geiste, in der Mentalität.
In der letzten Zeit scheint es mir, dass manchen Zeitgenossen in unserem Lande die Angleichung des deutschen Geistes an die Mentalität eines Sizilianers oder eines Kreters nicht mehr genügt und nicht mehr zufrieden stellt. Bekanntlich wollte es der Deutsche im Laufe der Geschichte ohnehin immer alles gründlich machen. Somit hege ich die leise Vermutung, dass einige unserer Zeitgenossen der Meinung sind, dass diese Angleichung an südeuropäische Inselmentalität einer reinen historischen Zeitverschwendung gleich käme. Der politische Wille dieser Visionäre propagiert bereits jetzt schon die übernächste Stufe des historisch notwendigen Angleichungsprozesses: jene an den levantinischen und insbesondere an den maghrebinischen Geist.
Dieser Angleichungsprozess ist im vollen Gange und in allen Lebensbereichen unseres Landes präsent. So und nur so ist auch der hanebüchen-eulenspiegelhafte Dieselskandal zu verstehen. Die Südländer haben es mit der Schuldenquote. Wir haben es mit den Stickoxiden. Alles Richtwerte. Heutzutage wird so was in Europa aber nicht mehr so ganz ernst genommen. Wenn man erwischt wird, tut man so, als ob nichts gewesen wäre. Schließlich soll man sich mental aufeinander zu bewegen. Hauptsache weg von den schnöden altmodischen deutschen Tugenden. Die Dieselfahrzeuge von Fiat sind nahezu um zwei Potenzen dreckiger als die deutschen Autos. Die Anfragen Brüssels an Rom liefen stets ins Leere. Das ist mediterrane Art, Probleme zu lösen: keine Widerrede, bei Bedarf Widerstand durch Nachgiebigkeit, durch Ausweichen, durch scheinbares Sich-Ergeben. Liebenswerter südländischer Stil eben.
Aber: ist dieser Stil noch erstrebenswert in Anbetracht der Tatsache, dass der maghrebinische Geist um ein Vielfaches geschmeidiger, lässiger, cooler und somit unstrittig zeitgemäßer daher kommt?
Ich ertappe mich dabei, dass ich im Begriff bin, Verständnis auf zu bringen für die zeitnahe Einführung der übernächsten Stufe des historischen Angleichungsprozesses. Und natürlich wünsche ich den folgenden Generationen jede Menge Spaß bei diesem beispiellos einmaligen historischen Unterfangen!
Spaß haben ist schließlich en vogue und somit voll passend zu unserer derzeitigen und sicherlich auch künftigen Spaßgesellschaft.