Es ist alles zu schnelllebig.
Viele, zu viele unserer Zeitgenossen sind überfordert. Vom frivolen Universalismus. Ich finde den Ausdruck prima. Und den Urheber auch: Sloterdijk. Die geistigen Ansprüche der globalisierten „Weltordnung“ sprengen die Möglichkeiten der psycho-mentalen Strukturen vieler Zeitgenossen.
Fixpunkte des Menschen sind u.a. überschaubare Gruppen. Vor tausenden Jahren Horden genannt. Glücklich durften sich jene Horden wähnen, die sich in Stämme zusammenfanden. Es war stets ein geistiger Überbau von Nöten, um den Einzelnen in eine zahlenmäßig unüberschaubare Gruppe zu integrieren und hierin zu verwurzeln. Es hat lange gedauert, bis das Individuum zum Nationalmenschen geformt wurde. Seit einigen Jahrzehnten versucht man auf unserem alten Kontinent den „Europäer“ zu formen. Die Geschichte lehrt: in absehbarer Zeit wird nichts daraus. Identitäten häuten sich nicht in drei oder vier Generationen. Das Ende des 21. Jahrhunderts wird „den Europäer“ nicht erleben.
Entsprechend illusionär ist die Vorstellung der Globalisierungsbefürworter in absehbarer Zeit einen ihren (vornehmlich ökonomischen) Zwecken dienenden „Weltbürger“ zu erschaffen. Das Individuum des 21. Jahrhunderts ist noch weit davon entfernt, identitätsstiftende mentale Strukturen aufzugeben für eine sichtlich unausgegorene Idee, die nichts Handfestes und Bleibendes sondern lediglich eine immerwährende physische und geistige Bewegung einfordert. Die Geschichte der Menschheit, so wie wir sie kennen, hält Beispiele von Menschen und ihren Ideen parat, die grandios gescheitert sind, weil sie letztendlich zu viel Unruhe und Bewegung und dadurch zu viel Instabilität den eigenen Zeitgenossen in einer viel zu kurzen historischen Zeitspanne zugemutet haben.
Es darf beim Menschen nicht ausser Acht gelassen werden die seit jeher sehr ausgeprägte, nicht zu tilgende anthropologische Sehnsucht nach Ruhe und stabiler Gewissheit.
Der große Makedonier voll vom aristotelischen Geist im Altertum und der kleine Korse Anfang des 19. Jahrhunderts haben in kürzester Zeit wuchtvoll ihre Welt durcheinander gewirbelt. Sie haben maßlos übertrieben und ihre Mitmenschen grandios überfordert. Die ihnen bruchlos folgenden restaurativen Ideen haben jedesmal Physis und Geist der Zeitgenossen wohltuend entschleunigt. Wenn, dann waren es in den letzten mehr als zwei Jahrtausenden bewußter menschlicher Historie einzelne – zugegeben mit einem einmaligen Genius ausgestattete – Hitzköpfe am Werke, die maßlos dachten und handelten.
Heute verspricht eine zahlenmässig vernachlässigbare, gleichermassen hitzköpfige Minderheit der Weltbevölkerung der restlichen Riesenmehrheit erneut das Heil auf Erden. Und auch heute spielt die Beschleunigung eine überragende Rolle.
Es soll ja alles so schnell wie möglich geschehen. Denn, wie das schon immer so war: die, die den berühmten Stein – aus welchem Kalkül auch immer – ins Rollen brachten, wollten stets noch zu ihren Lebzeiten die Nutzniesser des Anstoßes sein.