Unser Alt-Bundeskanzler Schröder befand sich eines Tages zusammen mit einer nicht unbedeutenden Wirtschaftsdelegation in einem Land des Mittleren Ostens. Mit von der Partie war ein erfolgreicher Bauunternehmer und guter Freund des Kanzlers. Im Laufe des Gesprächs mit einem ranghohen Offiziellen erfährt Schröder von den Plänen der Gastgeber, einen ultramodernen Flughafen bauen zu wollen. Worauf sich Schröder zu seinem Freund umdreht und, da dieser mehrere Tische weiter saß und selber in einem Gespräch vertieft war, mit sonorer Stimme über die Köpfe der Anwesenden hinüber schreit:
Walter, kannst du auch Flughafen?
Eine reizende Geschichte. Übrigens, wen´s interessiert: Walters Antwort war ein promptes Ja, gleichwohl er bis dato nie einen Flughafen gebaut hat. Und ob der Betreffende Walter hieß, da bin ich mir nicht so sicher, aber das Geschilderte hat sich tatsächlich so zugetragen.
In Abwandlung dieser netten Kanzlerfrage stelle ich mir nicht ohne ein gewisses Unbehagen und mit der gleichen putzigen Satz-Syntax eine andere Frage:
Deutschland, kannst du Außenpolitik?
Außenpolitik ist eine (politische) Kunst für sich. Sie ist stets ein komplexes rationales und irrationales Produkt der Gegenwart und der Vergangenheit eines Volkes, eines Landes, einer Nation. Die Gegenwart bestimmt das unaufschiebbar jetzt zu Machende und das gnadenlos begrenzt Machbare. Die Vergangenheit bestimmt die große geschichtspolitische Linie. Jedes Volk, jedes Land, jede Nation besitzt einen unverwechselbaren außenpolitischen Fingerabdruck mit einem jederzeit mühelos auszumachenden Wiedererkennungsmerkmal.
Deutschland hat keinen solchen leicht erkennbaren Abdruck, und weil Deutschland als nationales Gebilde historisch noch relativ jung ist und geopolitisch seit eh und je unstreitig die A…karte gezogen hat, kann bei unserem Land von einer „großen Linie“ kaum die Rede sein. Deutschland schwankt seit Bismarck zwischen Zeiten von irrem Größenwahn, von kurzen Episoden lobenswerter Normalität und von letzten Jahrzehnten lächerlicher Selbsterniedrigung bar jedes nationalen Selbstwertgefühls. Gewiß: alle diese unterschiedlichen Epochen deutschen außenpolitischen Denkens sind unschwer aus dem jeweiligen historischen Kontext zu erklären und problemlos nachvollziehbar. Das nutzt allerdings niemandem wirklich: weder dem deutschen Volk (verstanden so, wie das Grundgesetz diesen Begriff definiert, um Missverständnisse gleich gar nicht aufkommen zu lassen) noch der restlichen Welt. Passend dazu ein Churchill-Zitat: „Die Deutschen sind seltsame Menschen, entweder sie liegen uns zu Füssen oder sie hängen uns an der Kehle“.
Solange Deutschland den roten Faden der „großen Linie“ nicht findet, wird unser Land nie agieren, nie gestalten, nie definieren können. Trotz wirtschaftlicher und technologischer Größe wird Deutschland weiter als ein von niemanden geliebtes Waisenkind der Geschichte lediglich darauf reagieren, was andere ihm – zum Teil viel unwichtigere Figuren auf dem Schachbrett der Weltgeschichte – mit selbstbewußter oft auch gaunerhafter Unbekümmertheit auftischen. Egal was Deutschland außenpolitisch denkt oder tut: in den Augen der anderen Schachfiguren kann und darf deutsche Außenpolitik nie in Ordnung sein. Geopolitisches Schicksal ja, aber nicht nur. Auch anerkannte visionäre Kanzler und Außenminister mit unbestreitbaren außenpolitischen Format können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Antwort auf die Frage: „Deutschland, kannst du Außenpolitik“? in der Zusammenschau letztendlich nur ein Nein sein kann.