Ich arbeite in der Nürnberger Südstadt. Sie gilt bei Kennern als Multi-Kulti Stadtteil. Seit nunmehr 20 Jahren gehe ich in diesem Stadtteil meiner Tätigkeit nach. Es hat sich hier viel verändert. Ende des vorigen Jahrhunderts wohnten in der Südstadt viele Arbeiter und ebenso viele Rentner, die die Maschinenbauindustrie der Frankenmetropole nach dem Krieg wieder aufgebaut haben. Siemens, MAN, Bosch, Leistritz und wie sie auch alle heißen. Gastarbeiter mitsamt Familien waren auch da. Vor allem von der Balkanhalbinsel aus dem Ex-Jugoslawien.

Inzwischen schrumpft die Nürnberger Maschinenbauindustrie und mit ihr ihre treue Arbeiterschaft. Die Rentner, die Nachkriegs-Nürnberg im Schweiße ihres Angesichts aufgebaut haben, sterben. Ihren Platz nehmen Personen ein, die ziemlich fremd erscheinen. Insbesondere nimmt die Zahl kopftuchtragender weiblicher Personen zu. Das Bild und die Erscheinung einer Person verarbeitet man mit den Sinnen, dem Intellekt und dem Bauchgefühl. Beim Anblick kopftuchtragender Frauen mahnt der Intellekt zu Weitläufigkeit und Toleranz. Die Sinne und das Bauchgefühl sprechen eine andere Sprache.

Wenn man zu jenem Personenkreis gehört, der nicht im Nachkriegsdeutschland sozialisiert wurde, sondern zur gleichen Zeit im östlichen Teil unseres Kontinents, dann war man hier aus der frühesten Kindheit an kopftuchtragende Personen gewohnt. Es waren ausschließlich betagte weibliche Personen, die tief verwurzelt waren in einem entsprechend den sozial-politischen Gegebenheiten erstarrten bäuerlichen Milieu. Menschen aus dem Osten Europas sind oft in zwei ja sogar in drei Kulturen beheimatet. Entsprechend  fokussieren sie  Realitäten aus diversen Perspektiven. Und fokussieren allemal schärfer als andere, die in einer einzigen Kultur zu Hause sind.  Dieses trifft auf viele europäischen Völker östlich, nordöstlich sowie südöstlich von Wien zu. Die osteuropäische Nachkriegsgeneration, der ich angehöre, fand das Kopftuchtragen bereits ab frühester Jugend als ziemlich abartig da nicht europäisch, nicht zeitgemäß, alles andere denn als eine Bereicherung egal welcher Art und somit keineswegs im Einklang mit den damals und auch heute hoch gehaltenen Werte der souverän-uneingeschränkten individuellen Freiheiten. Soweit nun das Bauchgefühl…

Vor einiger Zeit ging ich in der Mittagspause einkaufen. Zielstrebig, da ich genau wußte, wohin und was ich wollte. Schon von weitem sah ich eine Menschenansammlung an einer Straßenecke, die ich gut kannte und wo ich in 20 Jahren noch nie eine Menschentraube gesehen habe. Als ich näher kam, erkannte ich drei Dutzend unisono schwarz gekleidete, kopftuchtragende Frauen mittleren Alters. Daneben standen zwei Dutzend Männer alle in weißen Hemden und schwarzen Hosen. Mein Intellekt haderte mit dem Bauchgefühl. Der Toleranzgedanke versus dem unguten Gefühl, dass diese Frauen, so, wie sie sich präsentierten, in Westeuropa des 21. Jahrhunderts einfach fehl am Platz waren. Der Unwille und insbesondere das fehlende Bedürfnis zur Integration in die sie tragende Gesellschaft waren diesen Frauen ins Gesicht geschnitten. Man sah ja auch nur ihre Gesichter. Alles andere war vollkommen von schwarzem Tuch verhüllt. Ich erhaschte noch einen Blick in den Toreingang, vor dem alle standen. Im Hinterhof sah man ein schlichtes Gebäude, das nach einem Vereinslokal aussah. Einige Frauenblicke trafen mich. Sie waren total uninteressiert und seltsam entrückt. Parallelgesellschaft. Die Frauen mit und in ihrer Welt. Ich in meiner. Keine Schnittstellen geschweige denn Schnittmengen.

Apropos:  fast hätte ich vergessen, zu erwähnen, welches Ziel ich eigentlich anstrebte. Zwei Straßen weiter hat vor kurzen eine syrische Familie einen kleinen Laden mit typisch orientalischen Leckereien eröffnet. Der Sohn der Familie,-er heißt Tarek-wohl der einzige der Großfamilie, der etwas Deutsch spricht, steht von in der früh bis am Abend hinter dem Ladentisch. Ich war schon einige Male bei ihm. Vor seinem Laden sieht er mich die Straße  überqueren und schwingt mit den Armen. Die Begrüssung ist orientalisch herzlich.

Er zeigt erwartungsvoll auf eine Schüssel voller Humus. Ich nicke. In meinem ganzen Leben habe ich keinen besseren Humus gegessen als seinen.