Im Artikel 5, Absatz 1, Satz 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland steht geschrieben:
„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. (…) Eine Zensur findet nicht statt.“
Das Bundesverfassungsgericht hat dazu zunächst 1972 und danach 2011 festgestellt: „In einem pluralistisch strukturierten und auf der Konzeption einer freiheitlichen Demokratie beruhenden Staatsgefüge ist jede Meinung, auch die von etwa herrschenden Vorstellungen abweichende, schutzwürdig.“
Das BVG urteilte auch, dass sämtliche Meinungsäußerungen schutzwürdig sind, egal ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational, ob sie wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos einzuschätzen sind.
Das deutsche Grundgesetz spricht von Meinungsäußerungsfreiheit, was aber nicht bedeutet, dass Tatsachenbehauptungen vom Grundrechtsschutz ausgeschlossen sind. Sie sind dann geschützt, wenn sie Voraussetzung für eine bestimmte Meinung sind.
Da aber unwahre Tatsachenbehauptungen grundsätzlich nicht vom Schutz der Meinungsfreiheit umfasst sind, ist in solchen Fällen eine Abgrenzung notwendig. Und da – wie könnte es auch anders sein! – liegt der Hase im Pfeffer, weil die Abgrenzung sich naturgemäß als schwierig erweist. Unwahre Tatsachenbehauptung versus Meinungsäußerung.
Nun heißt es im Koalitionsvertrag von CDU und SPD: „Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt. Deshalb muss die staatsferne Medienaufsicht…gegen Informationsmanipulation und Hass und Hetze vorgehen können.“
Ja, ich bin voll dabei: Bewusste Verbreitung von falschen Tatsachenbehauptungen ist moralisch verwerflich. Jemanden bewusst hinters Licht zu führen, ist verwerflich. Lügen verbreiten, ist verwerflich. Die sozialen Medien sind randvoll von Lügen. Sie sind zum Bersten voll von Meinungen, die vollkommen hirnrissig, absurd, ja, idiotisch sind.
Andererseits: Als eine Person, die autoritäre Machtstrukturen Jahre hinweg erlebt hat, kann und darf ich behaupten, dass eine Demokratie, in der man nur die Wahrheit verkünden darf, schlicht und einfach keine wäre. Nur eine Gesellschaft, in der es sogar erlaubt ist, zu lügen, ist wirklich frei. Ein Rechtsvergehen darf die Lüge in einer freien Gesellschaft niemals sein. Freiheit, also die Grundsäule der Demokratie, ist immer die Freiheit des Andersdenkenden, auch wenn dessen Ansichten behämmert, ja grenzdebil sind.
Übrigens: Das deutsche Grundgesetz geht noch weiter. In Deutschland sind sogar verfassungsfeindliche Ansichten ausdrücklich erlaubt. Ich darf die Meinung vertreten, dass der Parlamentarismus hierzulande versagt hat und er sollte tunlichst durch eine Monarchie ersetzt werden. Diese Behauptung ist lächerlich, ja absurd, aber ich darf sie äußern.
Langer Rede, kurzer Sinn: Das Grundgesetz schützt nicht den Staat vor Idioten und Verfassungsfeinden, sondern Idioten und Verfassungsfeinde vor dem Staat.
Demokratie ist nicht gleich Demokratie. Sie ist nichts für schwache Nerven, sie ist ein Kampfbegriff.
Demokratie ist nichts anderes als ein fragiles Gedanken-Konstrukt, ausgeliefert in jedem historischen Augenblick der machtpolitischen Matrix der jeweiligen Gesellschaft.