PARIS 2024

Die Olympischen Spiele 2024 sind Vergangenheit.
Frankreich hat Maßstäbe gesetzt, die Franzosen haben es klug angestellt. Sie mussten kaum in neue Sportanlagen investieren, es war alles schon da. Nachhaltigkeit, fürwahr! Nahezu das ganze ihnen zur Verfügung stehende Geld haben sie in das investiert, was ihnen wichtig war: in das Wohlfühlen der Sportler und das mitreißende Verzaubern der Zuschauer vor Ort und natürlich in der ganzen Welt. Ein Volksfest sollte es werden und es wurde ein Volksfest. Sie haben es hinbekommen: die Gratwanderung so unvereinbarer Tatsachen wie „Offene Spiele“, Volksfest, die Hauptstadt Paris und mehr als 35000 bewaffnete Polizisten im täglichen Einsatz.
Eröffnungs- und Abschlussfeier waren nicht von dieser Welt. Und sie waren auch sehr französisch: kapriziös, rebellisch, dramatisch. Ein Schaulaufen der Sportler vor einer beeindruckenden historischen Kulisse. Es war ein einmalig inszeniertes Miteinander von glanzvoller Vergangenheit und (sehr) bunter Gegenwart. Französischer Nationalstolz gepaart mit lässig dahin kommender Weltoffenheit. Man kann gespannt sein, was Los Angeles sich einfallen lassen wird. In Paris hat die Seine eine hervorstechende Rolle gespielt. Damit haben die Franzosen mit der Tradition gebrochen, die beeindruckendsten Momente des olympischen Spektakels innerhalb eines Stadions stattfinden zu lassen. L.A. wird mit diesem neuen Ansatz nicht brechen können. Möglichkeiten dazu haben die Amerikaner allemal. Ich tippe darauf, dass diesmal eine Küstenlandschaft in den Mittelpunkt des einmaligen sportlichen Events rücken wird.
Die Franzosen haben es meisterlich geschafft, für einen Wimpernschlag der Geschichte der gesamten Welt die eigenen reichlich vorhandenen politischen, sozialen, wirtschaftlichen und klimatischen Probleme vergessen zu machen.
Nun ist Olympia passé.
Und die große Ernüchterung macht sich breit. So wie nach allen großen Sportevents. Ein Beispiel gefällig? Vor zwölf Jahren sprang Daniel Craig als James Bond bei der Eröffnungsfeier der Olympiade in London aus dem Helikopter. Die Londoner Eröffnungsfeier galt bis Paris 2024 als großartigstes Präludium solcher Veranstaltungen schlechthin. Schon vergessen? Auch Paris 2024 wird unweigerlich verblassen, weil auch für diese Momente des Innehaltens und des tiefen Durchatmens Goethes ewiger „Augenblick“ gilt, dessen „Verweilen“ uns Menschen nicht vergönnt ist.
Apropos Sport. Selten wird über Aspekte und Besonderheiten der Kulturgeschichte des Sports sinniert. Dabei reicht die Bindung zwischen Mensch und Sport weit zurück in die Geschichte der Menschheit. Allein die Olympischen Spiele gehen mindestens bis ins 8. Jahrhundert vor Christus zurück. Die „kriegerischen Wettkämpfe“ waren und sind Konstanten der Geschichte. Eine weitere Konstante der viele tausend Jahre währender menschlichen Zivilisation sind die „spielerischen Wettkämpfe“.
Wie ist aber der unaufhaltsame und beständige Drang zum spielerischen Wettkampf zu erklären? Die Kulturgeschichte des Sports bietet hierbei etliche interessante Erklärungsmodelle. So z. B. sieht der Philosoph Peter Sloterdijk im Fußballspiel eine „anthropologische Versuchsanordnung“. Auf dem Rasen, so Sloterdijk, werde „das älteste Erfolgsgefühl der Menschheit reinszeniert: mit einem ballistischen Objekt ein Jagdgut zu treffen, das mit allen Mitteln versucht, sich zu schützen“.
Und schlussendlich: Woher kommt der Begriff „Sport“ überhaupt?
Der Terminus geht mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit zurück ins 13. Jahrhundert. Damals tauchte in der französischen Sprache das Wort „desporter“ auf, was man gemeinhin mit „unterhalten werden“ übersetzen kann. In dem Wort steckt aber mehr drin. Die Ursprünge von „desporter“ sind – wie könnte es auch anders sein! – im Lateinischen zu suchen. Hier trifft man auf die Bedeutung: „sich hinwegtragen lassen“. Womöglich auch von den Zwängen des Alltags? Wie zuletzt in Paris?
Diese Unschuld und gute Laune verbreitende Übersetzung aus dem Lateinischen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Wort im Laufe der Jahrhunderte auch den Ursprung hergeben musste für einen ganz anderen Begriff, für einen anderen Tatbestand, der nichts mit Spaß, nichts mit ausgelassener Freude oder einem überwältigenden Wohlfühlsein zu tun hat, sondern mit unermesslichem Leid und grenzenloser menschlicher Tragik, wovon unzählige Völker, Minderheiten und Individuen ein schauriges Lied singen können:
DEPORTATION.