ALS DAS SIEBENBÜRGISCH-SÄCHSISCHE AUF DAS RUMÄNISCHE TRAF…

Im Frühsommer dieses Jahres habe ich beschlossen, eine Streitschrift zu verfassen. Kein Pamphlet. Keine Schmähschrift. Eine kritische Streit-Schrift, der demokratischen Austragung von Kontroversen dienlich.
Zum besseren Verständnis der Zusammenhänge hier einige nützliche Hintergrundinformationen. Sowohl die Hintergrundinfos als auch die Streitschrift ist selbstredend an meine gesamte Leserschaft gerichtet. Um das Ganze – Hintergrundinfo und Streitschrift – aber richtig verstehen und einordnen zu können, sind Basiskenntnisse über die eigenartigen rumänischen politischen Verhältnisse der letzten Jahre von nicht zu unterschätzendem Vorteil.
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Im Spätherbst des Jahres 2024 fanden in Rumänien Präsidentschaftswahlen statt. Die Ergebnisse des ersten Wahlgangs wurden vom rumänischen Verfassungsgericht annulliert. Begründung: massiver Einfluss aus dem Ausland. Siegreich hervorgegangen ist aus diesem Wahlgang – oh, Schreck! – der rechtskonservative Europaskeptiker C. Georgescu. Amtierender rumänischer Präsident zu dieser Zeit war Klaus Johannis, ein Siebenbürger Sachse aus Hermannstadt. Johannis war mit der Situation sichtlich überfordert. In seinem eigenen hölzernen und bürokratischen Duktus, mit dem er das rumänische Volk jahrelang traktiert hat, ließ er nach der Annullierung verlauten, Rumänien sei „stabil, sicher, demokratisch“ und „nicht in Schwierigkeiten.“ Zudem kündigte Johannis an, dass er verfassungsgemäß Präsident bleiben werde, bis ein Amtsnachfolger vereidigt worden sei und versprach:
„Ich werde mich als Präsident so einbringen, wie bisher.“ Für alle – also für das Volk und für die politischen Beobachter gleichermaßen – durfte diese Aussage nach Realsatire geklungen haben, schließlich war Johannis in den vergangenen Jahren als Präsident kaum noch in Erscheinung getreten. Außer: er flog ins Ausland, meistens in Länder der Dritten Welt. Diplomatisches Ergebnis: für Rumänien nahezu Null.
Es kam, wie es kommen musste: Die Oppositionsparteien stellten Anfang 2025 einen Antrag auf Johannis´ Amtsenthebung. Er kam mit seinem Rücktritt der Abstimmung im Parlament zuvor. Selbst seine eigene Partei, die bürgerliche Nationalliberale Partei soll Johannis den Schritt nahegelegt haben. Rumänischen Medien zufolge hätte der unbeliebte Johannis bei einem Verbleib im Amt im neu entfachten Wahlkampf als Belastung für die Regierungsparteien gegolten. Da kann man es drehen und wenden, wie man will: In einem der entscheidendsten historischen Momente des nachrevolutionären Rumäniens handelte Klaus Johannis alles andere denn mit der in derartigen Krisensituationen gebotenen präsidialen Souveränität. Und wer in großen Zügen die Historie seiner zehnjährigen Amtszeit kennt, weiß, dass das Fehlen dieser Souveränität in den wirren innenpolitischen Monaten Ende 2024 und Anfang 2025 keine Ausnahme war. Johannis hat sich in den 10 Jahren seiner Präsidentschaft alles andere denn mit Ruhm bekleckert. Das ist mitnichten nur meine Meinung. Die absolute Mehrheit ernstzunehmender politischer Beobachter innerhalb und außerhalb Rumäniens bescheinigen dem Expräsidenten eine unterdurchschnittliche Qualität seines politischen Wirkens.
Alle Beobachter?
Natürlich nicht.
Es gibt nämlich nicht nur politische Beobachter, sondern auch politisch tätige Funktionäre.
Im März dieses Jahres erscheint in der Siebenbürgischen Zeitung – sie ist so was wie das Zentralorgan der Siebenbürger Sachsen in Deutschland – ein Artikel aus der Feder des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationalen Minderheiten Dr. Bernd Fabritius. Darin wird Johannis als Glücksfall für Rumänien und für Europa gepriesen. Der Artikel verströmt den Odem von pharisäerhafter, schönrednerisch-heuchlerischer Lobhudelei. Der Adressat des Artikels: die mit derartigen, durch und durch unkritischen Texten vertrauten Siebenbürger Landsfrauen und Landsmänner aus Deutschland.
Meine Streitschrift habe ich im Frühsommer 2025 an die Redaktion der Siebenbürgischen Zeitung geschickt wohl ahnend, dass sie im redaktionellen Papierkorb landen wird. Soviel zu der breiten, toleranten und freigesinnten Meinungsvielfalt, der sich die Redaktion – vorgeschoben – verpflichtet fühlt.
Zu guter Letzt eine weitere Bemerkung: Klaus Johannis wurde im November 2014 zum rumänischen Präsidenten gewählt. Am 26. Dezember 2014 ist in der Onlineausgabe der Siebenbürgischen Zeitung ein Artikel von mir erschienen, wo ich – auf eine sehr persönliche Art – dieses doch außergewöhnliche Momentum rumänischer Geschichte versucht habe, historisch einzuordnen und zu würdigen. Mein Artikel von 2014 und die Streitschrift 2025 bilden eine in sich abgerundete Einheit. Der Artikel 2014 durfte damals übrigens erst erscheinen, nachdem eine in der siebenbürgischen Szene gut bekannte und vernetzte Person den Daumen zugunsten der Veröffentlichung dezent hochhielt.
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Hier nun meine Streitschrift:

Sollte jemand behaupten, Rumänien macht seit Jahren schwere Zeiten durch, den möge die Jahrhunderte alte Geschichte des Landes eines Besseren belehren. Schwere Zeiten waren mit äußerst wenigen Ausnahmen die Regel. Immer schon. Seit der Zeit, da die römischen Legionen des Kaisers Trajan die Donau überquert und dakischen Boden betreten haben.
Seit Menschen-Gedenken ist eine Spannung – nicht sichtbar, nicht fassbar – auszumachen vor allem im Geist und in der Seele des rumänischen Volkes. Das moderne Rumänien, entstanden vor mehr als 100 Jahren aus dem geopolitischen Trümmerhaufen als Nachlass des 1. Weltkrieges, mäandert seit damals unentwegt zwischen seinen inneren Dämonen und den äußeren Mächten, die alle – Dämonen und Mächte gleichermaßen – entweder das Land stürzen oder stützen wollen. Rumänien ist stets in der Schwebe zwischen vorhandenem Potenzial und unfähiger Stagnation, zwischen Traum und Realität, zwischen dem, wie sich die Rumänen selbst einschätzen und wie sie von Fremden wahrgenommen werden.
Das Volk hatte immer schon ein liebevolles Verhältnis zum Vaterland. Deshalb schmerzt den Rumänen seit Generationen jeder politische Missgriff, jedes lügen-behaftete Versprechen, jeder schrille oder geräuschlose Missbrauch im öffentlichen Raum. Das Volk fühlt sich immer wieder verraten: vom Staat, von den Politikern, von den Institutionen, ja vom „System“, wie die Bevölkerung das Ganze schlussendlich bezeichnet.
Das vorherrschende Gefühl in der rumänischen Gesellschaft war und ist seit einem Jahrhundert nicht die Hoffnung, sondern eine mühselige und ermattende Gemengelage aus Misstrauen und Galgenhumor, aus bitterer Ironie und Resignation.
Seit dem Sturz des Kommunismus verlässt ein Teil der Jugend das Land, gut Ausgebildete kehren dem Land den Rücken, die Schulen leeren sich, die Dorfbevölkerung vergreist. Die Menschen haben kein Vertrauen mehr in die Justiz, der Begriff der Meritokratie ist mit einem unheilvollen Bann belegt, die Bürokratie gedeiht und der Staat behandelt die Bürger allzu oft als Feinde, seltenst als den Souverän.
Für das Ausland ist Rumänien ein Paradoxon: ein Land mit einmaliger Kulturlandschaft, aber mit unsichtbarer Präsenz auf der internationalen Bühne; eine flexible Wirtschaft, aber chaotisch gemanagt; ein gastfreundliches Volk, aber mit schwacher diplomatischer Repräsentanz.
Die Interessen jener, die sich dem Land gegenüber halbwegs wohlgesonnen verhalten, sind strategischer Natur. Für die Vereinigten Staaten ist Rumänien ein williger Brückenkopf in unmittelbarer Nähe des russischen Imperiums. Die Amerikaner kritisieren aber Rumäniens politische Inkohärenz und das heuchlerische Mimen von Reformen. Die EU ihrerseits hält das Land unter strenger Beobachtung, Rumänien ist zwar unmissverständlich im Klub der erlesenen Europäer, aber noch lange nicht auf dem Podest.
Rumänien ist ein zutiefst gespaltenes Land. Es gibt zwei koexistierende Welten, die sich wenig zu sagen haben: eine bäuerlich-ländliche, die verarmt und verlassen ist, die mit einer christlich-humanen Einstellung daherkommt und eine urbane, mit der restlichen Welt vernetzte Schicht, agil und geschäftig aber in weiten Teilen erschreckend oberflächlich. Die Rumänen mögen sich untereinander, aber sie verstehen sich nicht mehr. Einige glauben dem Westen, andere fürchten ihn. Einige beten für den Sieg des Globalismus, andere singen das Lied des Protektionismus. Das Heil erwarten viele von der Politik, andere wieder von Gott.
Rumänien hat eine beneidenswerte geopolitische Lage, ist aber nicht imstande, sie auch gekonnt und adäquat zu nutzen. Das Land wird um seine Naturlandschaften beneidet, ist aber bis heute nicht in der Lage, sie touristisch zu vergolden. Außerhalb der Grenzen wächst eine Generation heran, die das Land – mit dem, was sie insbesondere in Westeuropa gelernt hat – weiterbringen könnte, sofern man sie ernsthaft, redlich und ohne Falsch zurück ins Land rufen würde.
Den rumänischen Politikern fehlt es an Visionen, am ausgeprägtesten ist bei ihnen allein der Selbsterhaltungsinstinkt. Nach drei Jahrzehnten demokratischen Staatswesens wissen die Rumänen noch immer nicht recht, was sie sein möchten: ein Volk von Malochern im Dienste anderer, oder ernstzunehmende Gestalter z. B. eines regionalen Wirtschaftsmarktes? Wollen sie einer der wichtigsten europäischen Getreidelieferanten sein, oder ein logistisches Anhängsel fremder Mächte?
Rumänien leidet nicht an Ressourcenmangel, sondern an einem Kurs- und Richtungsmangel. Das Land hat keinen Mangel an humanen Ressourcen, von qualifiziertem Personal, sondern es leidet darunter, dass dieses menschliche Kapital von den Politikern und anderen Entscheidungsträgern nicht adäquat wahrgenommen und gefördert wird. Es fehlt nicht an Potenzial, es fehlt letztendlich an kollektiver Courage.
Seit ein paar Monaten ist neue Aufregung im Lande angesagt. Die Präsidentschaftswahl, die Ende 2024 aus sehr undurchsichtigen Gründen kassiert worden ist, war ein Paradebeispiel eines weitgehend undemokratischen Ränkespiels. Staatspräsident zu dieser Zeit: Klaus Johannis. Es steht schlecht um das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat und seinen Institutionen. Von der politischen Kaste kommen nichts als hohle Versprechungen und sinnentleerte Slogans, die Politiker sind hauptsächlich damit beschäftigt, sich Privilegien zu verschaffen und diese zu sichern. Ein Wechsel der politischen Einstellungen und Prioritäten wären dringend vonnöten, es ist höchste Zeit für die Interessen der Bevölkerung einzutreten und nicht in selbstverliebten Endlosschleifen unentwegt nur am eigenen Image zu feilen.
Was Rumänien seit drei Jahrzehnten am dringendsten benötigt, ist eine allumfassende moralische Neukonfiguration und ein Reset aller gesellschaftlich relevanten Prioritäten. Und das nicht mit Sonntagsreden, sondern mit Individuen, die Macht und Machtausübung nicht als Privileg, sondern als ehrenvolle Verantwortlichkeit definieren und leben. Es geht schließlich um Wahrheiten und um mutige, verantwortungsbewusste Bürger, die vorbehaltlos das benennen, was schief läuft, um unverzüglich daran zu gehen, die so erkannte und benannte Schieflage zu reparieren und instand zu setzen.
Die gesellschaftliche Sanierung kann nicht den sogenannten Eliten überlassen werden, das hat niemals funktioniert. Auch ist kein Verlass auf fremde Hilfe, egal aus welcher Richtung sie käme. Erneuerung kann gelingen, wenn sie aus jeder Ecke des Landes sprießt und jede Rumänin und jeden Rumänen in- und außerhalb der Landesgrenzen beseelt.

Warum eigentlich habe ich mir die Mühe gemacht, all das aufzuschreiben als eine Art Quintessenz vieler lesenswerter Artikel, die seit geraumer Zeit in den rumänischen und ausländischen Medien kursieren?
Es hat zum einen etwas mit Ex-Präsident Johannis zu tun zum anderen mit dem Artikel des Herrn Dr. Fabritius in der Siebenbürgischen Zeitung Anfang März d.J. unter dem Titel:
„Glücksfall für Rumänien und für Europa.“
Unser Landsmann Klaus Johannis kam vor gut 10 Jahren in das Amt des rumänischen Präsidenten wie derweil – Verzeihung um den saloppen Vergleich! – die Jungfrau zum Kind, also auf wundersame Weise. Den Sieg verdankte Johannis nahezu ausschließlich der tiefen, rational in keinster Weise begründbaren Sehnsucht des rumänischen Volkes nach deutscher Ordnung und deutschen Tugenden, der Sehnsucht nach einem anderen Geist im politischen Getriebe Rumäniens als jener meisterhaft vor mehr als hundert Jahren von Caragiale beschriebene. Nur und nur diese – alles andere denn rationale und mit realen Chancen des Gelingens behaftete – Sehnsucht katapultierte Johannis in das höchste Amt des Staates.
Da der Verwirklichung dieser unzählige Jahrzehnte alten politischen Desiderate des Volkes all das entgegenwirkt, was ich in den obigen Zeilen aufzuzeigen versucht habe, hatte unser Landsmann zu keinem Augenblick seiner Präsidentschaft die Chance gehabt, Substantielles im rumänischen politischen Getriebe zu ändern. Aber genau das war des Rumänen illusorische Hoffnung.
Als Präsident hat Klaus Johannis von Anfang an die EU-genehme Saite der rumänischen Politik bespielt und sich damit immer mehr – gefühlt – einem Drittel der Bevölkerung entfremdet. In den letzten drei Jahren dominierte in weiten Teilen der Bevölkerung eher die Enttäuschung über ihren Präsidenten, weil er in der sich immer mehr polarisierenden Gesellschaft einseitig Partei ergriff für die elitär-globalisierungsfreundlichen Schichten und die unzähligen rumänischen „Hillbilly-Familien“ vor den Kopf stieß. Man kann sich des leisen Verdachts nicht erwehren, dass Herr Johannis in den letzten Jahren seiner Amtszeit eine eigene, lediglich die persönliche Zukunft fokussierende Agenda vefolgte und folgerichtig auch das letzte Quantum präsidialer Neutralität aufgegeben hat. Man möge sich bloß an die vermessene Idee des Präsidenten erinnern, NATO-Generalsekretär werden zu wollen.
Die Rumänen wünschten sich vor 10 Jahren eine mit deutschen Tugenden ausgestattete, über alles kleinliche Parteigezänk erhabene neutrale politische Persönlichkeit, die mit einigen realitätsnahen Visionen der rumänischen Gesellschaft mit neuen Impulsen befreiende, noch unbeschrittene aber gangbare Wege eröffnen hätte sollen.
Herr Johannis hat sich dem „Polit-Zirkus“ (Zitat Herr Dr. Fabritius) nicht nur nicht entzogen, er hat ihn zwar nicht befördert, aber auch in keinster Weise an den Pranger gestellt. Er ist durch und durch Parteisoldat der National-Liberalen geblieben und ist folgerichtig im schlammig-glitschigen Werkraum des rumänischen Politikbetriebs steckengeblieben, dessen Schmierstoff von den skrupellos-manipulativen und opportunistischen Seilschaften geliefert wird. Offenbar konnte und wollte der so zu höchsten Würden gelangte Siebenbürger Sachse diesem so gearteten politischen Raum gar nicht entkommen, weil er sich wohl unter anderem auch darüber bewußt war, dass er nicht der geborene, charismatisch und rhetorisch beschlagene Führertypus geschweige denn der visionäre Stratege war.
Klaus Johannis hat sich bemüht. Nennenswerte, unverzeihliche Fehler sind ihm nicht unterlaufen. Große Würfe sind ihm aber auch nicht gelungen.
Auf keinen Fall, Herr Dr. Fabritius, kann davon ausgegangen werden, – wie Sie das in ihrem Artikel formuliert haben – dass Klaus Johannis in geschichtlicher Nachbetrachtung als einer der bedeutendsten Präsidenten des postrevolutionären Rumäniens vermerkt bleiben wird.
Die künftigen rumänischen Historiker werden schlicht verzeichnen, dass Anfang des 21. Jahrhunderts ein Siebenbürger Sachse in das höchste Staatsamt gewählt wurde. Er war stets bemüht, das Richtige zu tun, hat aber keine erwähnenswerten Impulse für ein anders geartete Rumänien, als das man dieses Land seit Jahrhunderten kennt, geliefert.
Zu mehr wird es in den ernst zu nehmenden Geschichtsbüchern nicht reichen.

Über die zu erwartenden Kernpunkte des künftigen Urteils, das seriöse und weisungsungebundene sächsische Historiker in der nahen und fernen Zukunft über Klaus Johannis als öffentliche Person und somit Vertreter des Siebenbürger Sachsentums – Letzteres insbesondere im geistigen Sinne verstanden! – fällen werden, schweige ich mich vorsorglich und diplomatisch-bedacht aus.