Es sind unruhige Zeiten, die wir alle zurzeit erleben. Im chinesischen Kulturkreis wird die Aussage „Ich wünsche dir, dass du interessante Zeiten durchlebst“ alles andere denn gern gehört. Der Angesprochene weiß, dass man ihm mit diesen Worten keineswegs Glück und Zufriedenheit wünscht!
Wir alle erleben jetzt „interessante Zeiten“.
Sich in interessanten Zeiten zurechtzufinden, ist keineswegs ein Klacks.
Wir werden von allen Seiten mit Informationen zugeschüttet. Ab und an: zugemüllt.
Wir müssen damit zurechtkommen. Einfach ist das nicht.
Die Verbreitung jeder Information ist interessengeleitet, in unseren Tagen mehr denn je. Man sollte sich daher das eherne Axiom jeder Rechtsprechung ins Gedächtnis rufen und diesen Grundsatz auch auf die Übernahme und Verarbeitung von Informationen ausdehnen: „Audiatur et altera pars.“
Diesem Grundsatz folgend werde ich im Weiteren einige Meinungen zu den jetzigen globalen wirtschaftlichen und politischen Krisenherden des Herrn Professor Ulrich Blum wiedergeben.
Zu seiner Person: Ulrich Blum ist Professor für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsforschung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Seit September 2021 ist er Geschäftsführer des neu gegründeten Deutschen Lithiuminstituts (ITEL).
Auf die Frage: „Welche Rolle spielte die Ukraine vor dem Niedergang der Sowjetunion“, erhält man von ihm eine kurze Abhandlung: „Die Ukraine war eines der wichtigsten Industriezentren der Sowjetunion… Russland und später die Sowjetunion wurden aus dem Donbass-Gebiet heraus industrialisiert. Es existiert ein spannendes Plakat aus dem Jahr 1921, das den Titel „Donbass, das Herz Russlands“ trägt. Auf diesem Plakat ist eine Karte Russlands abgebildet, und der Donbass ist als Herz dargestellt, das Blut in die russischen Provinzen pumpt. Dieses Plakat verdeutlicht, dass der Donbass unverzichtbar für Russland ist. Damals waren allerdings Seltene Erden und Lithium noch nicht relevant. Die Seltenen Erden kamen erst in den 2000er und Lithium in den 2010er Jahren in unseren Dunstkreis und wurden immer wichtiger. Ich behaupte deshalb, dass der Ukrainekrieg wirtschaftlich eigentlich 1997 losgegangen ist. 1997 wurde das Klimaprotokoll von Kyoto angenommen. Russland war neben Südafrika und Indien eines der Länder, für die das Kyoto-Protokoll den größten Genickschlag darstellte. Schauen Sie: Das autokratische Herrschaftsmodell Putins basiert auf dem Verkauf von Öl, Gas und Kohle. Wenn dieser Absatz durch die Dekarbonisierung zusammenbricht, bekommt das russische Geschäftsmodell ein großes Problem. Deshalb war für mich bereits frühzeitig absehbar, dass Putin irgendwann die Hand nach den Rohstoffen der modernen Hochtechnologien ausstrecken wird, die vor allem im postsowjetischen Raum liegen. Entgegen allen Stimmen aus dem Westen: Putin handelt zutiefst rational.“
Es ist inzwischen bekannt, dass die USA und die Ukraine ein Rohstoffabkommen abgeschlossen haben. In beiderseitigem Interesse natürlich. Warum denn haben die Vereinigten Staaten einen solchen Hunger nach Seltenen Erden?
Prof. Blum antwortet auch hier wort- und kenntnisreich: „Die Amerikaner haben große Probleme mit der eigenen Produktion von Lithium und Seltenen Erden. Eines der bedeutendsten Bergwerke für Seltene Erden in den USA befindet sich im kalifornischen Mountain Pass. Dort haben sie bei der Gewinnung die Schwierigkeit, dass das Material radioaktiv ist. Das ist nicht einfach zu bergen. Das Unternehmen Molycorp hat zweimal dichtgemacht, da es im Vergleich zu China zu kostenintensiv produzierte, unter anderem wegen der Radioaktivität. China hatte dadurch seinen Marktanteil Anfang des Jahrtausends auf über 90 Prozent erhöht und damit praktisch die gesamten Wertschöpfungsketten ins Land gezogen. Darauf basiert heute seine globale Dominanz bei kritischen Rohstoffen. Deswegen sind die USA sehr interessiert an anderen Quellen. Die Amerikaner werden alles daransetzen, die Dominanz Chinas zu brechen. Die Chinesen haben auch aktuell einen enormen Einfluss auf die Preisbildung. Sie verfügen über 48 Prozent der weltweiten Reserven. Im Vergleich: Die USA verfügen gerade einmal über 11 Prozent der Reserven. Die Amerikaner möchten den Europäern die Seltenen Erden vor der Nase wegschnappen, auch um die im Wahlkampf versprochene Reindustrialisierung des Landes zu forcieren. Während wir uns in Europa aus dem Elfenbeinturm über Trump lustig machen, müssen wir feststellen, dass er im Gegensatz zur EU absolut rational agiert“.
Bei der Frage nach eben diesem Agieren der EU im globalen Konflikt um Rohstoffe platzt dem Herrn Professor beinahe der Kragen:
„Ich bin als geopolitisch denkender Mensch fassungslos über den Dilettantismus der Europäischen Union und unserer eigenen Bundesregierung. Wir schlafen regelrecht. Ich verstehe nicht, warum westeuropäische Staaten nicht schon viel früher Rohstoff- und Entwicklungsabkommen mit den Ukrainern geschlossen haben, um möglichst viele europäischen Firmen dorthin zu locken – eine Absichtserklärung gab es ja 2021. Europa bezieht zurzeit 98 Prozent der Seltenen Erden und 97 Prozent des Batterie-Lithiums aus China. Beides ist für die Energiewende und die technologische Transformation unverzichtbar. Die Folge ist eine massive Abhängigkeit. Die EU kann ihren Critical Raw Materials Act einstampfen, wenn sie nicht endlich ihre eigenen Interessen vertritt“.
„It´s the economy, stupid“! – der berühmte Wahlslogan Bill Clintons hat nichts von seiner Gültigkeit eingebüßt. Der Slogan bezog sich auf den Zustand der eigenen Wirtschaft der USA von damals und sollte im Wahlkampf Durchschlagskraft entfalten.
Der Slogan hat sich seit der Zeit verselbständigt und wird in mannigfachen Zusammenhängen verwendet. Er kann z.B. Verwendung finden, etwa zur Untermauerung folgender Binsenwahrheit:
Wirtschaftliche Überlegungen und Zwänge gehörten immer schon zu den Hauptursachen kriegerischer Auseinandersetzungen.
Für Prof. Blum steht für das 21. Jahrhundert eines bereits fest:
„Der weltweite Kampf um die politische Hegemonie wird auch ein Kampf um kritische Rohstoffe sein.“